Industriepromotion: Doktorarbeit in der Praxis
Nicht all unsere Wissenschaftler promovieren ausschließlich am Fachgebiet Multimedia Kommunikation – einige haben Partner in der Praxis, für die sie an konkreten Problemstellungen forschen, um neue, innovative Lösungen zu entwickeln. Tobias Rückelt, der seit 2013 am Fachgebiet Multimedia Kommunikation in Kooperation mit einem Partner aus der Automobilindustrie promoviert, erzählt von seinen bisherigen Erfahrungen.
Tobias, Du arbeitest jetzt rund einem Jahr an Deiner Promotion – was genau ist Dein Thema?
Kurz gesagt, versuche ich, das Auto mit dem Internet zu verbinden. Die Mobilfunkverbindung ist dabei zunächst jedermanns erster Gedanke. Doch aufgrund ungenügender Qualität der Verbindung für viele Applikationen und zukünftig drastisch steigendem Bedarf für mobiles Internet, ist diese Technik allein nicht ausreichend für die Zukunft gewappnet. Mein Ziel ist es, zusätzlich weitere IP-basierte Funknetze wie WLAN zu integrieren. Lokal verfügbare Übertragungsmedien sollen gemeinsam und im dynamischen Wechsel verwendet werden können. Ein solcher Wechsel – beispielsweise von LTE auf WLAN – ist heute noch nicht möglich. Die Kommunikationsverbindung geht dabei verloren und langwierige Prozesse zur Neu-Initialisierung müssen durchgeführt werden. Besonders bei schnellfahrenden Automobilen würde dieser zeitfressende Prozess ständig eintreten, immer dann, wenn ein verfügbares WLAN erreicht oder verlassen würde. Eine weitere neue Frage besteht bei diesen Netzen nun darin, welche Daten über welches Übertragungsmedium geschickt werden. Diese Frage hat sich bisher nicht gestellt, da immer nur ein einziges Übertragungsmedium verwendet wurde. Diese Probleme gilt es zu lösen, um so das mobile Internet von morgen – mit unterbrechungsfreiem Wechsel des Zugangspunktes und optimiertem Datenfluss – zu gestalten.
Du arbeitest in Deiner Promotion eng mit einem Partner aus der Automobilindustrie zusammen. Welche Vorteile siehst Du dabei?
Ich denke, viele Absolventen interessieren sich erstmal nicht für eine Promotion, da sie die Industrienähe suchen. Unter einer „wissenschaftlichen Karriere“ kann man sich erstmal nicht so viel vorstellen, es klingt vielleicht abstrakt oder sehr theoretisch. Die Industrie lockt mit klar definierten Projekten, Zielen und Aufgaben sowie höheren Mitteln. Der Weg zum Produkt ist immer greifbar.
Kannst Du das bestätigen?
Nur zum Teil. Es gibt auch im wissenschaftlichen Umfeld klare Forschungsziele und Projekte, obwohl der Weg zum Produkt nicht ganz so nahe ist. Die Arbeit ist häufig sogar interessanter. In der Industrie gibt es nur sehr kleine, inkrementelle Änderungen von einer Produktversion zur nächsten. Im Fokus steht die Frage, welche Features sich mit bestehender Technik möglichst günstig in ein bestehendes Produkt integrieren lassen. Die Wissenschaft hingegen überlegt ausgehend von einer vielleicht noch weit entfernten Produktvision, was man benötigt, um neue Möglichkeiten zu schaffen. Diese Zukunftsmusik hat ihren ganz besonderen Reiz. Aber natürlich verbindet so eine Industriepromotion beide Welten. Die Zukunftsmusik spielt hier nicht fernab der heutigen Vorstellungen, sondern orientiert sich klar an den Bedürfnissen der Konsumenten – aber nicht für die nächste Produktversion, sondern für ein Produkt in einigen Jahren.
Und natürlich lernt man auch jede Menge Menschen kennen.
Das stimmt. Die Industriepromotion öffnet Türen und man hat mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun. An der Universität sind Wissenschaftler oft unter sich. Bei meinem Industriepartner habe ich auch viel mit Menschen zu tun, die häufig eine pragmatische Sicht auf die Dinge und viele Jahre Erfahrung in der Umsetzung und Lösung von typischen Engeneering-Problemen haben. Das sind nicht nur die Kollegen vor Ort, sondern auch Personen aus ganz anderen Firmen der Automobilbranche; Zulieferer, Dienstleister und Berater und sogar die Konkurrenz. Das erweitert den eigenen Horizont und hilft, ein Netzwerk für später aufzubauen.
Wie läuft dein Promotionsprojekt konkret ab?
Ich verbringe im wöchentlichen Wechsel die Hälfte meiner Zeit bei KOM, die andere Hälfte direkt beim Industriepartner. Grundsätzlich arbeite ich aber in beiden Phasen an den gleichen Themen. Das ist mein Großes Glück, aber leider nicht bei jeder Industriepromotion der Fall und daher ein Punkt, den ich jedem Interessenten bei der Stellensuche ans Herz legen möchte.
Im ersten Jahr musste ich erstmal die Grundlage legen – also den Weg gehen von der ersten Idee über die Recherche, um Lücken in der Forschung zu identifizieren, bis hin zu den eigenen Konzepten. In den kommenden Monaten werden die Konzepte prototypisch umgesetzt und ich freue mich auf die ersten Ergebnisse, die hoffentlich die Annahmen bestätigen.
Welchen Teil Deiner Arbeit machst Du direkt beim Industriepartner?
Dort forsche ich an neuen Konzepten, wie man das Internet im Auto stets verlässlich verfügbar machen kann. Durch meine Mitarbeit erfahre ich Details über die langfristige Strategie, geplante Systeme und aktuelle Trends. Gerade wenn es um sicherheitsrelevante Anwendungen geht, die mit einer Internetverbindung arbeiten, muss das Internet schnell und stabil sein. Sonst kann man diese Anwendungen nicht einsetzen. Die entwickelten Konzepte werden prototypisch direkt im Auto umgesetzt. Dann probiert man sie in bestehenden Systemen aus, auch mal bei einer Testfahrt, evaluiert sie und optimiert sie dann.
Und was machst Du, wenn Du zurück an die TU Darmstadt kommst?
Hier habe ich natürlich den Vorteil, dass ich mit Wissenschaftlern über verwandte Themen diskutieren kann und so auch mit anderen Disziplinen und Fragestellungen in Berührung komme. Das erweitert den Horizont ungemein und hilft, auch mögliche Probleme in den eigenen Ideen frühzeitig aufzudecken. Die Diskussionen, beispielsweise bei Forschungsvorträgen, können mitunter sehr hilfreich sein. Außerdem möchte ich meine Forschung natürlich auch auf hochrangingen wissenschaftlichen Konferenzen vorstellen. Da helfen mir Methodik, Know-how und Strukturen am Fachgebiet, damit das regelmäßig gelingt.
Bist du bisher zufrieden mit Deiner Entscheidung, eine Industriepromotion anzugehen?
Ja, sehr. Ich habe eine tolle Doktorandenbetreuung, sowohl beim Industriepartner als auch bei KOM, habe viel Freiraum für meine Forschung und ein nettes Umfeld. Ich würde mich jederzeit wieder für diese Variante entscheiden.