Prof. Björn Scheuermann: „Wir haben dann gewissermaßen eine Doppelspitze bei KOM“
Professor Björn Scheuermann baut an der TU Darmstadt das Fachgebiet „Kommunikationsnetze“ auf. Im Interview erzählt der neue TU-Professor, was er vorhat und was ihn antreibt.
Herr Prof. Scheuermann, in Berlin waren Sie Professor für Technische Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin und Forschungsdirektor am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIG). Was hat Sie nun nach Darmstadt geführt?
Hierher treiben mich die großartigen Möglichkeiten, technische Arbeiten zu Netzwerken und zu Security zu machen. Es gibt viele spannende Kollegen hier, interessante Projekte und spannende Optionen, Dinge gemeinsam anzugehen und sich zu vernetzen.
Sie bauen hier an der TU Darmstadt das neue Fachgebiet Kommunikationsnetze auf, das eng an das Fachgebiet Multimedia Kommunikation geknüpft ist.
Genau, ich bin durch eine vorgezogene Neuberufung hierhergekommen als Nachfolger von Prof. Ralf Steinmetz, der noch ein paar Jahre bleibt. Wir haben beschlossen, dass wir uns beide KOM nennen. Bei Ralf Steinmetz steht es für Multimedia Kommunikation und bei mir für Kommunikationsnetze. Wir haben dann gewissermaßen eine Doppelspitze bei KOM.
Was genau haben Sie am neuen Fachgebiet geplant?
Ich werde mich weiterhin dort bewegen, wo ich auch in Berlin mit meinem technischen Standbein unterwegs war und was mir Spaß macht. Das ist das Dreieck zwischen Netzwerkprotokoll-Design, Security & Privacy und Hardware. Den Kern bildet immer die Frage, wie man Netzwerkprotokolle so baut, dass das Gesamtsystem tut, was es tun soll. Daneben gibt es in vielen Projekten Bezüge in Richtung Security & Privacy einerseits und in Richtung Hardware andererseits. Also wie baut man Geräte, die Netzwerkprotokolle und Netzwerkpakete verarbeiten können?
Haben Sie Anwendungsbeispiele dafür?
Wir haben in der Vergangenheit zum Beispiel zusammen mit Medizinern Projekte gemacht, oft mit einem Bezug in Richtung Privacy. Zusammen mit Luft- und Raumfahrtinformatikern haben wir uns angeschaut, wie man Kommunikation in Schwärmen von Satelliten organisieren kann. Außerdem haben wir Spezialprozessoren für Firewalls gebaut. Letztes Jahr habe ich mit meiner Gruppe ein bisschen etwas im Bereich Covid-Tracing gemacht, da spielt zudem die Verteilte-Systeme-Perspektive mit hinein. Alle ein, zwei Jahre suche ich mir gerne ein neues Anwendungsfeld, in dem ich mich austoben kann.
Kommunikation in Schwärmen von Satelliten organisieren klingt spannend. Was haben Sie bei dem Projekt konkret gemacht?
Klassischerweise hat man große Satelliten gebaut, die sich um sämtliche Anwendungen kümmern. Zum Beispiel gucken sie mit einer oder mehreren Kameras in Richtung Sterne und zur Erde. Mit Kommunikationstechnik übertragen sie Daten zu einer Basisstation. Außerdem sind dort Rechner an Bord, Antriebstechnik, Geräte und so weiter. So ein Satellit ist allerdings verdammt teuer, groß und auch schwer – und damit auch schwer in den Orbit zu schießen.
Deshalb setzt man in der Raumfahrttechnik immer mehr auf Anwendungen, die viele kleine Satelliten nutzen. Das sind entweder Formationen – quasi „Grüppchen“ von Satelliten –, die nah beieinander fliegen, oder Konstellationen wie Starlink, die Satelliten auf unterschiedlichen Umlaufbahnen betreiben, welche sich dann ab und zu begegnen und dann wieder auseinanderfliegen.
„Der Aspekt der Vorhersehbarkeit und damit der Planbarkeit ist besonders spannend.“
Prof. Björn Scheuermann
Für solche Anwendungen stellt sich die Frage: Wie baut man das Netz? Das ist eine spannende Herausforderung, denn es besteht nicht immer Kontakt zu jedem Kommunikationspartner. Wenn ein Satellit in Reichweite der Bodenstation ist, kann er mit der Bodenstation Daten austauschen. Wenn er dann wieder weiter weg ist, allerdings nicht mehr. Man hat also ein Netzwerk, bei dem sich ständig, aber in vorhersehbarer Weise ändert, wer mit wem kommunizieren kann. Das ist bei Netzen hier auf der Erde eher selten.
Der Aspekt der Vorhersehbarkeit und damit der Planbarkeit ist besonders spannend: Ich kenne ja die Umlaufbahn. Und dann kann man zum Beispiel fragen: Welcher Satellit sollte zu welchem Zeitpunkt an wen welche Daten weiterreichen, um ein bestimmtes Ziel – zum Beispiel Aufnahmen der Regenwaldstelle X – so schnell wie möglich zu einer Bodenstation zu transportieren. Dann kann man noch Energiebetrachtungen hineinnehmen: Was passiert, wenn der Satellit nur eine begrenzte Menge Energie hat für die Kommunikation oder für andere Aufgaben?
Sie sagen, Sie suchen sich alle ein, zwei Jahre neue Projekte. Was möchten Sie hier in Darmstadt als nächstes angehen?
Ich möchte etwas aufbauen im Bereich Kommunikation in der Industrie. Also zum Thema Sensordaten erfassen und Steuerungsprobleme lösen in Industrie- und Fertigungsanlagen. Dazu habe ich in den letzten Jahren schon Projekte gemacht. Wenn ich mir die Umgebung hier in Darmstadt anschaue und woran andere am Fachbereich und darüber hinaus forschen, dann sieht man in diesem Bereich sehr schöne Synergien. Das ist auf jeden Fall etwas, das ich in näherer Zukunft vorantreiben will.
Worauf können sich die Studierenden am neuen Fachgebiet freuen?
Auf viele spannende Veranstaltungen im Bereich zwischen den drei Themen Netzwerkprotokolle, Security & Privacy und Hardware. In den ersten Jahren werde ich in enger Abstimmung mit Ralf Steinmetz etwas in der Grundlagenlehre Kommunikationsnetze anbieten und darauf aufbauend im Master verschiedene Vertiefungsmodule zu Anwendungsprotokollen und vollverteilten Systemen, zu Transportschichtprotokollen – also beispielsweise zum Erreichen von Zuverlässigkeit über unzuverlässige Netze, Überlastkontrolle, solche Themen.
„Wirklich Spaß macht es erst, wenn man sich die Details anschaut.“
Prof. Björn Scheuermann
Auch zu Fragen der Netzwerkschicht plane ich mittelfristig eine Veranstaltung, in der wir dann mal ganz genau hinschauen, wie zum Beispiel Datenpakete im Internet zum Ziel geleitet werden und welche überraschenden Stolperfallen dabei lauern. Auf einer oberflächlichen Ebene versteht man das relativ leicht. Wirklich Spaß macht es aber erst, wenn man sich die ganzen schmutzigen Details anschaut. Jetzt im Wintersemester lese ich die Veranstaltung „Logischer Entwurf“ für das erste Bachelorsemester. Also eine Einführungsveranstaltung, wie man Schaltnetze und Schaltwerke baut – angefangen vom Transistor bis hin zu einem Punkt, wo man anfängt zu verstehen, wie ein programmierbarer Rechner, also ein Computer, funktioniert.
Aus Berlin bringen Sie auch Doktorandinnen und Doktoranden mit. Mit was beschäftigen diese sich?
Themen sind unter anderem das Covid-Tracing, die Satellitenkommunikation und Transportprotokolle. Ein Doktorand beschäftigt sich mit einem neuen Ansatz, wie man Rechner so abschirmt, dass sie selbst in einer fremden, potenziell feindlichen Umgebung nicht physisch kompromittiert werden können. Der ist wirklich mit dem Lötkolben unterwegs und baut auch mechanische Hardware.
Ein anderer Doktorand schaut sich IPFS an. Das ist ein verteiltes Dateisystem im Internet, das völlig dezentral Daten speichern und für andere verfügbar machen kann. Gerade wird dies zum Beispiel viel im Kontext von Kryptowährungen verwendet.
Ein weiteres Thema sind wissenschaftliche Workflows: Wie verteilt man Rechenaufgaben am besten auf verschiedene Rechner, wenn man wissenschaftliche Daten aus verschiedenen Disziplinen, zum Beispiel aus der Elektronenmikroskopie, der Astrophysik und der Genetik, nutzen will. Wie überträgt man die Zwischenergebnisse in cleverer Weise, ohne das Netzwerk zu überlasten?
Was begeistert Sie an den Themen Ihres neuen Fachgebiets Kommunikationsnetze?
Ich finde es total spannend, Dinge zu bauen und dann zu sehen, dass sie funktionieren. Und im Idealfall zu sehen, dass sie besser funktionieren, als man es vorher hingekriegt hat. Oder wenigstens zu verstehen, warum es auf die Weise, wie man es ausprobiert hat, nicht so gut wie erwartet funktioniert hat. Also Dazulernen durch konkretes Umsetzen von Systemdesigns.
Was war die wichtigste Erkenntnis Ihrer bisherigen Laufbahn?
Dass auch Dinge, die am Anfang einfach aussehen, verdammt schwer sein können, wenn man erst einmal wirklich anfängt, sich die Details anzuschauen. Genau das ist der Grund, warum ich diese konstruktive Hands-On-Arbeit so mag. Man wir mit den Details wirklich konfrontiert und kann sich irgendwann nicht mehr darein flüchten, sie alle weg zu abstrahieren.
Wie würden Sie Ihre Herangehensweise beschreiben?
Obwohl mein Hintergrund Informatik ist, würde ich mich von der Arbeitsweise her als Ingenieur sehen. Ich will Dinge zum Laufen bringen und verstehen, wie man sie bauen muss, damit sie funktionieren. Bauen ist natürlich ein breiter Begriff. Das kann in der physischen Welt sein, das kann aber auch in der Software-Welt sein. Am liebsten ist es mir im Zusammenspiel zwischen all dem.
„Ich will Dinge zum Laufen bringen und verstehen, wie man sie bauen muss, damit sie funktionieren.“
Prof. Björn Scheuermann
Was inspiriert Sie?
Die tolle Arbeit von den vielen, vielen Leute, die so viel besser sind als ich. Zum Beispiel, wenn man von einer Kollegin oder einem Kollegen mal wieder ein großartiges Paper in die Hände bekommt und einen Aha-Moment erlebt. Das motiviert, mich selbst wieder in die Arbeit zu stürzen und auch selbst gute Ideen zu produzieren.
Worauf freuen Sie sich hier in Darmstadt?
Bald endlich richtig anzukommen und nicht ständig zwischen Berlin und Darmstadt hin- und herzufahren.
Dann wünsche ich Ihnen ein gutes Ankommen in Darmstadt. Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Prof. Björn Scheuermann ist 41 Jahre alt und baut seit Oktober das Fachgebiet Kommunikationsnetze an der TU Darmstadt auf. Zuvor war er seit 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Technische Informatik an der HU Berlin. Außerdem hatte er eine Professur für IT-Sicherheit an der Universität Bonn und eine Professur für Telematik an der Universität Würzburg inne. Promoviert hat er an der Universität Düsseldorf im Jahr 2007 und übernahm dort anschließend eine Junior-Professur für Mobile und Dezentrale Systeme. Studiert hat er Mathematik und Informatik in Mannheim.
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