Netzneutralität – ja, aber…
In diesen Tagen ist die Gleichbehandlung aller Daten im Internet, die sogenannte Netzneutralität, wieder ein kontroverses Diskussionsthema bei Politikern, Netzbetreibern, Dienstanbietern und Internetnutzern. Ein aktuelles Urteil des EU-Parlaments bestätigt die grundsätzliche Bedeutung der neutralen Weiterleitung von Daten: „Provider müssen allen Datenverkehr gleich behandeln, […] ohne Diskriminierung, Restriktion oder Eingriffe, unabhängig vom Sender und Empfänger, den verbreiteten und empfangenen Inhalten, den verwendeten Applikationen oder Services.“ Gleichsam wird aber die Hintertür geöffnet für sogenannte „Spezialdienste“, die Netzbetreiber bevorzug übertragen dürfen. Netzbetreiber dürfen zukünftig verschiedene Kategorien von Daten unterscheiden „um die Gesamtqualität und das Nutzererlebnis zu optimieren“, heißt es im Beschluss. Der Begriff „Spezialdienste“ lässt jedoch viel Raum für Interpretation: Kritiker befürchten, dass Netzanbieter diese Regelung nun missbrauchen, um die Netzneutralität komplett zu umgehen. Befürworter begrüßen die Ausnahmeregelung und glauben, dass in Hinblick auf das Internet der Dinge sowie neue Dienste und Einsatzgebiete eine Regulierung zwingend notwendig ist.
Ich bin der Überzeugung: Beide Sichtweisen sind nachvollziehbar und relevant für die zukünftige Entwicklung des Internets – sowohl auf inhaltlicher als auch auf technischer Seite. Ohne eine Regulierung des Datenverkehrs sehe ich aber für die weitere Entwicklung des Internets ein Risiko. Denn: In den zurückliegenden Jahren ist der Datenverkehr insbesondere im mobilen Internet geradezu explodiert, so dass die Kapazitäten des Internets an Grenzen stoßen. Und dieser rasante Anstieg des (mobilen) Datenverkehrs wird sich weiter fortsetzen, das zeigen beispielsweise aktuelle Prognosen von Cisco.
Kapazitätsprobleme im herkömmlich Straßenverkehr versucht man mit Regulierung zu überwinden: Beispielsweise mit einem Sonntagsfahrverbot für LKWs oder Vorrang für Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr. Das Internet ist eine große Datenautobahn, auf der tagtäglich eine gigantische Menge an Datenpakten auf ihrem Weg vom Sender zum Empfänger um den Globus reisen: E-Mail, Surfen und Soziale Netzwerke, Musik- und Videostreaming, Online-Spiele – bisher werden all diese Pakete gleich behandelt. Unabhängig davon, woher sie stammen und welche Art von Daten sie enthalten. Auch die mögliche gesellschaftliche Relevanz oder ein Kosten- Nutzen-Faktor werden dabei nicht beachtet. Das funktioniert, solange das Internet in erster Linie als Infrastruktur für Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmedien fungiert, bei denen alle Datenübertragungen mehr oder weniger ähnlich zeitkritisch sind.
Doch in Zukunft werden immer mehr neue Dienste das Internet nutzen, bei denen eine schnelle und latenzfreie Umsetzung der entscheidende Qualitätsfaktor ist. So entscheidend, dass der Dienst nicht funktioniert und angeboten werden kann, wenn dieser Qualitätsfaktor nicht verlässlich eingehalten wird. Ich denke dabei an das Internet im Auto, über das zukünftig auch sicherheitsrelevante Informationen übertragen werden, oder an medizinische Kontexte: Eine Live- Beobachtung eines minimalinvasiven chirurgischen Eingriffes muss zeitkritischer behandelt werden als die Übertragung einer Sportveranstaltung oder die Ausstrahlung eines Spielfilms. In diesem Kontext macht die bevorzugte Weiterleitung von Daten der „Spezialdienste“ viel Sinn.
EU-Kommissar Oettinger nennt den Beschluss einen Kompromiss zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Unglücklich ist in jedem Fall die fehlende Definition des Begriffs „Spezialdienst“ – hier muss schnell abgegrenzt und präzisiert werden, damit Netzbetreiber die Ausnahmeregelung nicht ausnutzen, um sich ausschließlich in die eigene Tasche zu wirtschaften. Speziell junge Start-Ups mit anfänglich kleinen Budgets, die neue digitale Angebote schaffen wollen, dürfen nicht an Zusatzgebühren für schnelleres Internet scheitern. Das wäre ein völlig falsches Signal und könnte den Digitalisierungsprozess gerade in Deutschland unnötig bremsen. Im Vordergrund muss der gesellschaftliche Nutzen von Spezialdiensten stehen, nicht die Kommerzialisierung durch die Netzbetreiber.
Natürlich ist die Lenkung und Priorisierung einzelner Datenströme nur ein Teil einer möglichen Lösung. Daher arbeiten wir im DFG-Sonderforschungsbereich „MAKI“ der TU Darmstadt seit 2013 an neuen Methoden, um dem wachsenden Bedarf nach Bandbreite Herr zu werden. Dabei versuchen wir bereits bestehende Ressourcen effizienter zu nutzen, um dem wachsenden Bedarf an mobiler Bandbreite mit flexiblen Übertragungs- und Kommunikationstechnologien zu begegnen.
Titelbild mit Netzwerkkabeln: Npobre, Flickr, Lizenziert nach CC BY 2.0
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