Auf die Menge kommt’s nicht an
Alle machen Big Data. Aber brauchen wir wirklich für alle Anwendungsfälle immer möglichst alle Daten und Künstliche Intelligenz, um Probleme lösen zu können? Beim autonomen Fahren heißt es: Weniger ist mehr. Gerade im Hinblick auf erhöhten Datenverkehr und Datenschutz. Trotzdem müssen die Daten präzise ausgewählt sein, wenn man sparsam mit ihnen umgeht. Wie das geht, erklärt uns KOM-Wissenschaftler Tobias Meuser.
Tobias, woran forschst Du derzeit?
Fangen wir so an: Man verlässt sich bei der Autofahrt häufig auf Sensoren und dass sie gute Ergebnisse liefern. Ich beschäftige mich damit, wenn genau das nicht der Fall ist. Vielleicht reichen weniger Informationen, als bisher gedacht. Wie viele Informationen brauche ich, um eine vernünftige Aussage über die aktuelle oder eine zukünftige Situation treffen zu können?
Das heißt „viel hilft nicht viel“?
Sozusagen. Heute ist der Weg oft, möglichst alle Informationen zu verschicken – diese Herangehensweise hinterfrage ich. Als Beispiel das Radio: Hier wird nur eine sehr begrenzte Anzahl an Verkehrsmeldungen gesendet, aber dafür an alle Empfänger. Meist sind es sehr allgemeine Aussagen. Zum Beispiel, dass es in ganz Hessen kalt ist und glatt werden könnte. Präziser wäre: an dieser Stelle ist es gerade glatt und diese Information geht nur an die Fahrzeuge, die das aller Wahrscheinlichkeit nach betrifft. Das macht die Kommunikation deutlich effizienter.
Welche Informationen sind also beim Autofahren wichtig?
Es werden in den häufigsten Fällen Informationen über Tatsachen gebraucht, die direkt vor mir liegen. Wenn ich die A5 hochfahre und dort Stau ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Information für mich wichtig ist. Gegenbeispiel: Ein Stau bei Berlin wird mich nicht interessieren, selbst wenn ich nach Berlin fahren will. Denn bis ich dort bin, ist der Stau mit sehr großer Wahrscheinlichkeit schon wieder vorbei. Bei Abfahrten sind beispielsweise noch die nächsten zwei oder drei interessant. Die Frage ist, ab der wie vielten Abfahrt nicht mehr? Das ist relativ schwer herauszufinden und die ist Antwort selten null oder eins, sondern irgendwas dazwischen. Es geht um die Abwägung, wie lange eine Information relevant für das jeweilige Fahrzeug ist, abgestimmt auf die jeweilige Route.
Du willst also wissen, was für wen wann wirklich wichtig ist und wie man das herausfinden kann…
Genau! Wie entscheide ich aufgrund dieser Wahrscheinlichkeiten, wem ich was schicke? Das nenne ich Relevanz- und Informationsbewertung. Beide Dinge sollen zusammengebracht werden, damit der tatsächliche Mehrwert einer Information für ein Fahrzeug bewertet werden kann. Dabei muss ich zwischen verschiedenen Faktoren abwägen. Bei einer Meldung wegen Glatteis wäre die Konsequenz, frühzeitig abzubremsen und das Risiko für einen Unfall zu minimieren. Das ist eine sehr wichtige Information. Wenn allerdings ein Schild zur Geschwindigkeitsbegrenzung nicht an das Auto geschickt wird, muss die Person eventuell etwas stärker abbremsen, aber prinzipiell besteht hier kein erhöhtes Risiko. Der Mehrwert der Informationen muss also geschätzt werden, genauso wie die erwarteten Folgen. Das wird in Verhältnis zu den Kosten gesetzt. Kosten werden dabei als Metabegriff gefasst: Das kann ein Wachrütteln sein oder auch eventuelle Materialkosten. Sicherheit, Fahrerkomfort und Umweltbewusstsein sind dabei immer drei wesentliche Aspekte, die ganz oben stehen müssen.
Bei vielen Faktoren, aufgrund derer man kombiniert Entscheidungen fällen soll, denkt man unweigerlich an Machine Learning – oder?
Ich kann tatsächlich sehr viel mit herkömmlichen analytischen Methoden lösen. Und ich bin der Meinung: wenn es sich analytisch lösen lässt, dann sollte man es auch analytisch lösen. Bei Machine Learning kann man nur schlecht erklären, was das System letztendlich macht. Bei meinem System weiß ich das sehr genau und ich weiß auch, was es wahrscheinlich nicht tut und kann mich darauf einstellen. Bei Machine Learning kann es sein, dass das System etwas komplett Falsches tut, ohne dass es erklärt werden kann.
Wie weit ist die Informationstechnologie beim autonomen Fahren heute?
Der Stand heute ist leider: mobile Kommunikation ist nicht zuverlässig. Das heißt, ich kann Fahrzeuge auf etwas vorbereiten, aber am Ende des Tages müssen sie auch ohne diese Vorbereitung klar kommen. Trotzdem muss ich die mir zur Verfügung stehenden Kommunikationswege optimal nutzen. Hier gilt es zu entscheiden, was über welchen Kanal verschickt wird: Nutze ich LTE oder Car-to-Car-Communication? Wie das im Detail funktionieren wird, ist das Thema meiner Dissertation. Mehr dazu gibt es, wenn sie fertig ist.
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