Internet der Zukunft: Visionen und Projekte
Mehr als 400 Jahre Zeitung, rund 100 Jahre Radio, über 50 Jahre Fernsehen: Als das Internet Anfang der 90er Jahre der breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, hat es geballte mediale Konkurrenz. Und doch braucht es nur rund ein Jahrzehnt, um den etablierten Medien den Rang abzulaufen. Anfangs als reines Text- und Bildmedium für technisch versierte Anwender gestartet, ist es mittlerweile ein echtes Allzweckmedium für jedermann und ein wichtiger Wirtschaftsmotor. Trotz seiner enorm schnellen Entwicklung gilt das Internet aber nach wie vor als junges Medium, dessen Potenzial sich uns gerade erst offenbart. Das macht den Blick auf die mögliche Zukunft des Internets so spannend. Für unseren Blog habe ich mich ausführlich mit Ralf Steinmetz über das Internet der Zukunft unterhalten.
Herr Steinmetz, Sie sind Sprecher des Forschungsclusters „Future Internet“ an der TU Darmstadt. Welche Themen werden das Internet in den kommenden Jahren besonders prägen?
Steinmetz: Im Forschungscluster „Future Internet“ befassen wir uns in erster Linie mit neuen Kommunikationsformen und deren technischen Infrastrukturen. Dies dient der Kommunikation sowohl zwischen Menschen als auch zwischen Maschinen. Außerdem sind Sicherheit, 3D-Dokumente und Online-Geschäftsmodelle ein Forschungsfeld. Auch die zunehmende Medienkonvergenz ist ein Thema.
Maschinen sprechen mit Maschinen. Wie müssen wir uns das vorstellen?
Steinmetz: Man nennt das auch das „Internet der Dinge“. Als sehr einfaches Beispiel: Wenn Sie heute ein Paket bestellen, bekommen Sie automatisch eine E-Mail geschickt sobald es zur Abholung bereit steht. In der Zwischenzeit hat das Paket eine Menge Kommunikation betrieben, vom Absender über Zwischenstationen bis hin zur Auslieferung. Mit der fortschreitenden Umstellung auf das Internet Protokoll IPv6, die nach über 10 Jahren ihrer Festlegung endlich ganz aktuell Anfang Juni stattgefunden hat, wird in Zukunft jedes Gerät und jeder Gegenstand potenziell eine eigene Internetadresse haben. Daraus resultieren immer mehr automatisierte Prozesse in ganz unterschiedlichen Anwendungsbereichen. Im medizinischen Sektor wären beispielsweise Sensoren denkbar, die den Gesundheitszustand von Patienten laufend überwachen, in einer kritischen Situation automatisch den Notarzt alarmieren und ihm den Gesundheitszustand des Patienten übermitteln. Der Arzt ist dann schon genau informiert, bevor er überhaupt am Einsatzort eintrifft. Das kann Leben retten.
Wie sieht es mit der Kommunikation zwischen Menschen aus. Sind Facebook und Co. tatsächlich nur ein Hype, der wieder verschwindet, oder sind diese neuen Medien die Zukunft unserer Kommunikation?
Steinmetz: Das Internet hat eine neue Kommunikationskultur etabliert, die sicherlich nicht nur ein Hype ist. Diese neue Kultur ist aber nicht nur auf Social Media begrenzt – denken Sie einmal an die E-Mail, Smartphones und die daraus resultierende „immer erreichbar“-Mentalität. Social Media haben in der Vergangenheit bewiesen, wie mächtig sie sein können. Ich erinnere an die Ereignisse im Iran oder in Tunesien, dort waren Twitter und YouTube treibende Faktoren, um Öffentlichkeit und Transparenz herzustellen. Auch bei der Nuklearkatastrophe von Fukushima hatten die Menschen in Japan über Social Media die Möglichkeit, den Kontakt zur Außenwelt zu halten, um so von ihrem Unglück zu berichten. Sogar Journalisten greifen immer häufiger auf Social Media zurück, um sich zu informieren. In der Tagesschau wurde bereits mehrfach Twitter zitiert.
Das heißt, Social Media wird uns auch in Zukunft begleiten?
Steinmetz: Es mag sein, dass einzelne Anbieter wieder vom Markt verschwinden. Aber wir sollten nicht immer nur über Plattformen sprechen, sondern über eine grundlegende Veränderung der Kommunikationskultur einer globalisierten Gesellschaft. Ich gehe davon aus, dass uns diese Entwicklung weiterhin begleiten wird, ja. Ich kann Ihnen aber auch versichern, in der Zukunft werden wir bestimmt neue, heute noch nicht unbedingt vorhersehbare Internetanwendungen sehen.
Das Internet hat auch den Arbeitsalltag vieler Arbeitnehmer bereits stark beeinflusst, insbesondere durch die E-Mail. Erwarten Sie in Zukunft noch mehr Veränderungen?
Steinmetz: Ich denke, vor allem die Art wie wir zusammenarbeiten, wird sich weiter verändern. Nicht nur die Kommunikation zwischen Privatpersonen wird sich fortentwickeln, auch Unternehmen und deren Arbeitnehmer werden standortunabhängiger als heute schon interagieren. Stärker dezentralisierte Strukturen können mithilfe des Internets einfacher realisiert werden. Auch im akademischen Bereich verändert das Internet die Art wie wir lernen. Blended Learning bezeichnet ein E-Learning, das in optimaler Weise mit dem Präsenzstudium abgestimmt ist. Blended Learning ist für unsere Studierenden an der TU Darmstadt bereits Alltag.
Wenn immer mehr unserer privaten und geschäftlichen Kommunikation über das Internet stattfindet, dann wird auch die Sicherheit dieser Kanäle immer wichtiger.
Steinmetz: Das stimmt, insbesondere in drahtlosen Netzen brauchen wir eine Kommunikationstechnologie, die gleichermaßen sicher wie robust ist. Aber das Thema Sicherheit geht über Schutz vor Viren oder unerwünschten externen Zugriffen hinaus. Unter der Überschrift „Zivile Sicherheit im Future Internet“ beschäftigen wir uns mit Konzepten, wie Mensch und Maschine in Stress- und Notsituationen optimal zusammenarbeiten können, beispielsweise im Falle einer Umweltkatastrophe. Dies geschieht in einem perfekten Umfeld, denn in Darmstadt arbeiten über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an diesen wichtigen Sicherheitsthemen.
Wie beurteilen Sie die zunehmende Konvergenz der Medien: Wird das Internet in Zukunft andere Medienkanäle überflüssig machen?
In der Vergangenheit ist es bisher nicht passiert, dass ein neues Medium ein bereits etabliertes Medium komplett verdrängt hat. Die Medienkanäle verhalten sich eher komplementär. Wenn der Markt enger wird, spezialisieren sich die einzelnen Medien stärker. Allerdings handelte es sich dabei bisher immer um analoge Medien – die Digitalisierung schafft eine komplett neue Marktsituation. Es gab in der Vergangenheit noch kein Medium wie das Internet, das alle anderen Medien in sich vereint und dabei eine scheinbar unendliche Informationstiefe bietet. Es gibt kaum Informationen, die Sie nicht „googlen“ können. Es wird spannend zu sehen, wie sich die Medienlandschaft in den kommenden Jahren aufstellt und welche neuen Formate dabei entstehen.
Das Future Internet verändert aber nicht nur die Medienlandschaft, sondern beeinflusst auch die Ökonomie. So entstehen dank des Internets ganz neue Geschäftsmodelle. Haben Sie Beispiele?
Das Internet wird in Zukunft noch stärker als Wirtschaftsmotor fungieren. Dabei ist der Einfluss des Internets auf die Wirtschaft nicht nur auf bestimmte Geschäftsmodelle beschränkt, sondern breitet sich auf die gesamte Wertschöpfungskette aus. Es gibt auch komplett neue Geschäftsmodelle, beispielsweise neue Unternehmen, die die riesigen Datenmengen aufbereiten und aggregieren, die im Internet täglich produziert werden. Diese Datenmengen bieten auch wirtschaftliches Potenzial, müssen aber erst nutzbar gemacht werden. Beispiele sind Portale, die unstrukturierte, natürlichsprachige Texte, wie zum Beispiel regional sortierte Stellenanzeigen oder Restaurantempfehlungen, aus verschiedenen Quellen aggregieren, kategorisieren und die enthaltenen Informationen erschließen. Immer wichtiger werden aber auch Anwendungen, die Social-Media-Kanäle beobachten und so neue Trends frühzeitig erkennen. Hier werden Verfahren aus der natürlichen Sprachverarbeitung aber auch statistische Verfahren eingesetzt.
Wenn in Zukunft das Internet auch als ökonomischer Faktor immer wichtiger wird – was bedeutet das in Bezug auf die sogenannte digitale Lücke (engl. „Digital gap“), also konkret die digitale Kluft zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern?
Ich sehe die Digitalisierung als Chance, die Lücke zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen zu verkleinern. Nehmen Sie beispielsweise den Mobilfunkmarktmit seiner Datenübertragung über das Internet, der in den Entwicklungsländern aktuell einen echten Boom erfährt, während er in Industrieländern eher stagniert. Der Boom sorgt dafür, dass sich Informationen in den dortigen Märkten besser und schneller verbreiten, weil Mobiltelefone nun viel mehr genutzt werden. Diese neue Transparenz kann das Marktwachstum stimulieren und somit die Digitalisierung weiter beschleunigen. Ich möchte die Risiken des „Digital Gap“ nicht klein reden, aber das Internet bietet langfristig eine enorme Chance, Industrie- und Entwicklungsländer einander näher zu bringen, sowohl aus einer ökonomischen als auch einer sozialen Perspektive.
Das Internet und die Art wir als Endnutzer kommunizieren unterliegt einem permanenten Wandel. Was Endnutzer vor ein paar Jahren noch vom stationären Festrechner zu Hause erledigten, erledigt man heute oft mobil unterwegs. Dienste wie Dropbox oder Facebook waren noch vor ein paar Jahren undenkbar. Wie sollte aus Ihrer Sicht am sinnvollsten mit diesem stetigen Wandel umgegangen werden bzw. wie sollte das Internet der Zukunft beschaffen sein, um auf derlei schnelle Veränderungen bestmöglich reagieren zu können?
Das ist eine echte Herausforderung. Es gibt Bestrebungen eine neue, möglichst vielen Anforderungen an das künftige Internet gerecht werdende Architektur (sog. „clean-slate approach“) zu schaffen. Ich gehe jedoch ganz klar davon aus, dass wir auch in Zukunft eine gleichzeitige Existenz vieler vergleichbarer Mechanismen im Netz sehen werden. Wir haben einen von der DFG geförderten Sonderforschungsbereich „MAKI – Multi-Mechanismen-Adaption für das künftige Internet“ an der TU Darmstadt eingerichtet, in dem gerade diese Vielfalt von vergleichbaren Mechanismen und Lösungen sowie der durch neue Kommunikationsmöglichkeiten und Applikationen hervorgerufene starke Wandel als Chance gesehen und entsprechend erforscht und genutzt wird.
Was ist das genaue Ziel von MAKI?
Ziel von MAKI ist es, neue Konstruktionsmethoden, Modelle und Verfahren zu erforschen, die Kommunikationssysteme der Zukunft in die Lage versetzen sich adaptiv an sich ändernde Rahmenbedingungen und Anforderungen anzupassen. Im Gegensatz zu den bereits erwähnten clean-slate Ansätzen wollen wir in MAKI die Vielfalt von existierenden funktional ähnlichen Lösungen bzw. Mechanismen aufgreifen und Übergänge zwischen diesen möglichst optimal gestalten. Eine solche Vielfalt an Mechanismen kann man beispielsweise im Bereich des Video-Streamings beobachten. Hier existieren zentralisierte Client/Server-basierte Ansätze, aber auch hoch-skalierende dezentrale Ansätze. Jeder der beiden Mechanismen liefert unter bestimmten Rahmenbedingungen eine entsprechende Leistung. MAKI versucht nun den jeweils besten Mechanismus für gegebene Rahmenbedingungen zu ermitteln und geeignet zwischen dem aktuellen und den neuen Mechanismus umzuschalten. Genau diese Fähigkeit zur Adaption von Kommunikationssystemen soll als grundlegendes Prinzip im Internet der Zukunft etabliert werden, sodass Kommunikationssysteme der Zukunft in der Lage sind, geeignet auf den Wandel, wie immer dieser auch aussehen mag, reagieren zu können. Im Rahmen von MAKI sollen hierzu die notwendigen theoretischen und methodischen Grundlagen erforscht und entwickelt werden.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Nehmen Sie als aktuelles Beispiel so ein Großereignis wie die US-Wahl. Wenn die ersten Hochrechnungen veröffentlicht werden, versuchen viele Menschen auf einmal die gleichen Inhalte abzurufen und überlasten so die Server. Die Folge ist, dass die Webseite ausfällt oder ein Live-Stream anfängt zu ruckeln. Damit so etwas in Zukunft nicht passiert, erforschen wir das Konzept der Transition, um beispielweise von einem traditionellen Client-Server-Ansatz zu einen hochskalierenden Peer-to-Peer Ansatz umzuschalten, der die Last der Diensterbringung auf die einzelnen Teilnehmer verteilt und somit weniger anfällig für Störungen ist.